"Eines Tages, Baby, werden wir alt sein." Mit diesen aus der Musikszene bekannten, übersetzen Worte beginnt Julia Engelmann ihren ergreifenden Poetry Slam, der beinahe wie eine Rede wirkt und zu mehr gelebter Zeit auffordert.
Ein 1 Jahr altes Video macht die Runde
Julia Engelmann ist bekannt aus der RTL-Soap "Alles was zählt". Die Psychologie Studentin machte im Frühjahr 2013 beim 5. Bielefelder Hörsaal Slam mit und beeindruckte die Menschen.Seit ein paar Tagen kursiert der YouTube Clip nun im Netz. Die Timelines sind voll von Shares, Likes und Kommentaren.
Der Text? Sentimental. Naiv. Verträumt. Unverstanden. Aber vorallem - wahr!
Liest man die Kommentare zum Video und den Worten von Julia Engelmann, so teilen sich die Gemüter.Von beeindruckenden Worten ist die Rede. Worte, die unsere Welt braucht. Aber auch Unverständnis macht sich breit. Ein Hip Hop Fake wäre das. Einzelen Zeilen aus Songtiteln aneinander gereiht.
Wenn ihr mich fragt - ich kann nur den positiven Stimmen zustimmen. Die Worte mögen naiv sein. Aber warum nicht? Darf man nicht träumen? Von einer Welt, die einfacher ist? Die uns begeistert? Können wir in unserer Welt nicht mal durchatmen? Rast machen und über unser Leben nachdenken?
Ich finde schon. Wir alle sollten uns Gedanken zu unserer Zeit und unserem Leben machen. Denn irgendwann, da werden wir alt sein. Und dann schauen wir zurück auf unsere Geschichten. Haben wir dann nur positives zu berichten? Nein, wahrscheinlich nicht. Nicht in unserer Welt. Aber wir können unser persönliches Leben so gestalten, wie wir es wollen. Deshalb sollte jeder die Worte ganz individuell für sich selbst interpretieren und sehen, was er für sich daraus ziehen kann.
Der virale Effekt ist enorm
Der YouTube Clip ist wieder ein perfektes Beispiel, wie schnell sich ein Video mit einem Statement viral entfalten kann. Tausende Menschen sehen das Video und teilen es. Schon jetzt hat der Clip über 900.000 Views. Diese Zahl wird auch weiter steigen. Und die sozialen Medien zeigen mal wieder, was sie können!Hier nun der Text - die Lyrics von Julia Engelmann sind auch geschrieben sehr bezaubernd
Eines Tages Baby, werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir
alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.
Ich, ich bin der Meister der Streiche, wenn’s um
Selbstbetrug geht. Bin ein Kleinkind vom Feinsten, wenn ich vor Aufgaben steh‘.
Bin ein entschleunigtes Teilchen. Kann auf Keinsten was reißen. Lass‘ mich
begeistern für Leichtsinn, wenn ein anderer ihn lebt.
Und ich denke zu viel nach. Ich warte zu viel ab. Ich nehm‘
mir zu viel vor und ich mach‘ davon zu wenig. Ich halt‘ mich zu oft zurück, ich
zweifel alles an, ich wäre gerne klug – allein das ist ziemlich dämlich. Ich
würd‘ gern so vieles sagen, aber bleibe meistens still, weil wenn ich das alles
sagen würde, wäre das viel zu viel. Ich würd‘ gern so vieles tun. Meine Liste
ist so lang, aber ich werd‘ eh nie alles schaffen – also fang‘ ich gar nicht
an. Stattdessen häng‘ ich planlos vorm Smartphone. Wart‘ bloß auf den nächsten
Freitag. „Ach, das mach‘ ich später“ ist die Baseline meines Alltags. Ich bin
so furchtbar faul wie ein Kieselstein am Meeresgrund. Ich bin so furchtbar
faul, mein Patronos ist ein Schweinehund. Mein Leben ist ein Wartezimmer,
niemand ruft mich auf. Mein Dopamin, das spar‘ ich immer, falls ich’s nochmal
brauche.
Und eines Tages Baby, werd‘ ich alt sein. Oh Baby, werd‘ ich alt sein und an
all die Geschichten denken, die ich hätte erzählen können.
Und du? Du murmelst jedes Jahr neu an Silvester die wieder
gleichen Vorsätze treu in dein Sektglas und Ende Dezember stellst du fest, dass
du Recht hast, wenn du sagst, dass du sie dieses Jahr wieder vercheckt hast.
Dabei sollte für dich 2013 das erste Jahr vom Rest deines Lebens werden. Du wolltest abnehmen, früher
aufstehen, öfter rausgehen, mal deine Träume angehen, mal die Tagesschau sehen für
mehr Small Talk, Allgemeinwissen. Aber wie jedes Jahr, obwohl du nicht damit
gerechnet hast, kam dir wiedermal dieser Alltag dazwischen.
Unser Leben ist ein Wartezimmer. Niemand ruft uns auf. Unser
Dopamin, das sparen wir immer, falls wir’s nochmal brauchen. Und wir sind jung
und haben viel Zeit. Warum sollen wir was riskieren? Wir wollen doch keine
Fehler machen. Wir wollen auch nichts verlieren und uns bleibt so viel zu tun. Unsere
Listen bleiben lang und so geht Tag für Tag ganz still ins unbekannte Land.
Eines Tages Baby, werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir
alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können. Und
die Geschichten, die wir dann stattdessen erzählen, werden traurige Konjunktive
sein wie: Einmal, bin ich fast einen Marathon gelaufen. Und hätte fast die
Buddenbrooks gelesen. Und einmal wäre ich beinahe bis die Wolken wieder lila waren
noch wach gewesen. Und fast, fast hätten wir uns mal demaskiert und gesehen,
wir sind die Gleichen. Und dann hätten wir uns fast gesagt, wie viel wir uns
bedeuten. Werden wir sagen.
Und, dass
wir bloß faul und feige waren – das werden wir verschweigen und uns heimlich
wünschen, noch ein bisschen hierzubleiben, wenn wir dann alt sind und unsere
Tage knapp – und das wird sowieso passieren – dann erst werden wir kapieren,
wir hatten nie was zu verlieren. Denn das Leben, das wir führen wollen – das könn‘
wir selber wählen. Also lass‘ uns doch Geschichten schreiben, die wir später
gern erzählen. Lass‘ uns nachts lange wach bleiben, aufs höchste Hausdach der
Stadt steigen, lachend und vom Takt frei die tollsten Lieder singen. Lass‘ uns Feste, wie Konfetti schmeißen. Sehen
wie sie zu Boden reisen und die gefallenen Feste feiern, bis die Wolken wieder
lila sind. Und lass mal an uns selber glauben. Is‘ mir egal, ob das verrückt
ist und wer genau kuckt, sieht, dass Mut bloß auch ein Anagramm von Glück ist.
Und, wer immer wir auch waren – lass‘ mal werden, wer wir sein wollen. Wir
haben schon viel zu lang gewartet. Lass mal Dopamin vergeuden.
„Der Sinn des Lebens ist leben“ - das hat schon Casper
gesagt. „Let’s make the most of
the night“ – das hat schon Kesha gesagt. Lass’ uns möglichst viele
Fehler machen und möglichst viel aus ihnen lernen. Lass‘ uns jetzt schon Gutes
säen, damit wir später Gutes ernten. Lass‘ uns das alles tun, weil wir können
und nicht müssen. Weil jetzt sind wir jung und lebendig und das soll ruhig
jeder wissen.
Und unsere Zeit, die geht vorbei – das wird sowieso
passieren. Und bis dahin sind wir frei und es gibt nichts zu verlieren.
Lass‘ uns, uns mal demaskieren und dann sehen, wir sind die Gleichen. Und dann
können wir uns ruhig sagen, dass wir uns viel bedeuten, denn das Leben, das wir
führen wollen, das können wir selber wählen.
Also, los! Schreiben wir Geschichten, die wir später gern‘
erzählen. Und eines Tages Baby, werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir alt
sein und an all die Geschichten denken, die für immer unsere sind.
danke für den Text!
AntwortenLöschenEinfach ganz toller Text, der genauso identisch vorgetragen wurde. Davon brauchen viele, die wie ich denken, noch vielmehr. Diese Künstlerin würde ich gerne einmal persönlich kennen lernen oder wenigstens einmal life erleben.
AntwortenLöschenDenn ich bin schon alt
Ich fand den Text einfach nur unglaublich gut. Da musste ich mir die Mühe machen und ihn aufschreiben. Ich finde da ist er noch eingängiger als so schon.
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